Wissenschaften, die Wirklichkeit und die Wahrheit

Wissenschaften, die Wirklichkeit und die Wahrheit

1. Juni 2022 Aus Von admin

von Beile Ratut

Was sieht man, wenn man etwas sieht? Etwas zu sehen ist eine Konstruktion des Hirns in vorgegebenen Bahnen, also kein bloß physikalischer Prozess der Aufnahme von Licht, sondern ein Prozess im Gehirn mit Erfahrungen und sich erfüllenden Erwartungen. Augen sind kein Werkzeug, das neutral wäre, sondern sie sehen, was sie sehen wollen und erwarten. Alles andere, all das, was man nicht erwartet, wird übersehen. 

Der menschliche Geist nimmt nun den Gesamtzusammenhang auseinander und greift die für seine Eigeninteressen notwendige Dinge aus ihrem Zusammenhang und verändert sie. Dies geschieht immer so, ob bei einem Jäger, der nur das zu erlegende Wild sieht, oder bei einem Wissenschaftler, der nur eine Korrelation sieht, wo in Wahrheit Tausende Wechselbeziehungen sind. 

Wir blicken also nicht objektiv in die Welt, wie sie wirklich ist, und die Blende, mit der wir die eigentliche Realität betrachten, kann niemals komplett geöffnet werden. Das Geheimnis der Wirklichkeit kann folglich nicht in Wissen verwandelt werden.

Diese Schöpfung kam durch den Dreieinigen Gott aus dem Nichts! Die Instrumente, mit denen wir diese uns erscheinende Welt nun erforschen, also unsere Wahrnehmung und auch unsere Logik und unsere Sprache, sind nicht voraussetzungslos, sondern besitzen ihren Ursprung bereits in dieser Schöpfung. 

Der Spalt zwischen dem, was der Mensch denkt, und der Wirklichkeit ist keine neue Erkenntnis. Dies ist schon lange bekannt. Die Wissenschaft selbst hat dies im letzten Jahrhundert entdeckt, man muss also gar nicht das Christentum bemühen. 

CRISIS, Ausgabe 1, S. 26

Über das Geschaffensein des Menschen aus dem Nichts, über sein Gehirn, ist jedes menschliche Denken und damit natürlich auch jede wissenschaftliche Erkenntnis das Ergebnis eines Selbstbezugs. 

Allem menschlichen Denken und auch jeder wissenschaftlichen Erklärung fehlt der Garant für Wahrheit, der nur von außerhalb des Menschen und seines Denksystems kommen kann. Auch wissenschaftliche Erkenntnis ist immer selbstreferenziell, ein Zirkelschluss, denn sie setzt immer schon etwas davon voraus, das auch Teil des Ergebnisses ist, sie ist niemals im Absoluten verankert, das außerhalb des Menschen zu finden ist. Der Systemsprung, also der Sprung in eine Wirklichkeit außerhalb des Menschen, ist nicht geschehen. Objektivität gibt es nicht. Der Mensch erschafft, was er sieht, indem er hinschaut und woanders nicht hinschaut. Dies gilt auch und in besonderer Weise für alle Wissenschaftler, denn ihre Arbeitsweise setzt in der Aufhebung der Wirklichkeit und Zergliederung, Abspaltung, Isolierung winzigster Teilbereiche an. So sind nun natürlich auch die Wissenschaften eine Art Religion mit allen ihren Schwächen, die Wissenschaftler selbst haben, ihrerseits jedoch an den Religionen so viel zu kritisieren. 

Beile Ratut, geboren 1972, ist Finnin und schreibt in deutscher Sprache Romane und Erzählungen („Das schwarze Buch der Gier“, „Nachhall“, „Welt unter Sechs“) sowie Essays („Kompendium des Übermenschen“, „Das Fanal des Ego auf den Stufen zur Kirche“), darüber hinaus sind ihre Texte u.a. in der Tagespost, Rubikon, Z wie Zukunft, Cathwalk erschienen. Seit 2021 betreibt sie einen youtube-Kanal.

Sie studierte Volkswirtschaft, Literatur und Skandinavistik in Finnland und in Deutschland. Sie ist 2019 zur Orthodoxie konvertiert und Mutter von drei Kindern. Lange Zeit lebte sie mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt am Main, seit 2015 lebt die Familie in Zentral-Finnland auf dem Land.

Ein Wissenschaftler ist jemand, der ein Buch hernimmt, das voller erstaunlicher Inhalte ist. Aber der Wissenschaftler geht her und sammelt aus dem Buch nur die „E“s. Dann ruft er ganz begeistert aus: „Schauen Sie mal! Hier ist ein E und da auch! Immer das E!“ Und dann sieht er am Ende auch immer nur das E. Dabei macht das E nur Sinn, wenn es in einem Wort steht, und das Wort nur, wenn es in einem Satz steht, und dieser nur, wenn er in einem Gedankengang steht, usw. 

Und dann entstehen ganze Forschungs-einrichtungen, die messen, wie sich die Verteilung der E‘s im letzten Jahrzehnt verändert hat, ob die E’s Serifen haben oder keine, welche Druckfarbe verwendet wurde, usw. Und man meint ganz ernsthaft, etwas über die Welt erfahren zu haben …

(Lesen Sie den Beitrag weiter in: CRISIS Ausgabe 1, Juni 2022, S. 25-27)

Zurück zum Inhaltsverzeichnis Ausgabe 1