Das Recht auf Widerstand
Von Benedikt Kredenz
CRISIS︱Ausgabe 2︱Herbst 2022︱Christ – Kirche – Staat

Die Heiligsprechung von Thomas Morus am 19. Mai 1935 als Verteidigung kirchlicher Freiheit gegenüber staatlicher Willkür
Am 16. Juli 1535 starb er unter dem Henkerbeil: Thomas Morus, einer der größten Gelehrten des 16. Jahrhunderts, befreundet mit Erasmus von Rotterdam und Johannes Reuchlin. Als erfolgreicher Rechtsanwalt berühmt für seine Unparteilichkeit und sein Geschick als Unterhändler. Als Schriftsteller bewundert, nicht zuletzt für seine Schrift „Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia“, mit der er ein literarisches Genre schuf und die Keimzelle einer sozialphilosophischen Tradition. Als Lordkanzler bis wenige Jahre vor seinem Tod die rechte Hand des englischen Königs. Aber weder seine herausragenden Fertigkeiten noch seine europäische Bekanntheit noch seine politische Stellung hinderten Heinrich VIII., Thomas Morus zum Tod zu verurteilen und das Urteil umgehend umsetzen zu lassen.
Der Hintergrund war folgender: Der englische König wollte seine Ehe mit Katharina von Aragón zugunsten einer neuen Verbindung mit Anne Boleyn auflösen, auch in der Hoffnung, so zu einem männlichen Nachkommen und Thronfolger zu kommen. Der Papst widersetzte sich dem Anliegen Heinrichs VIII., woraufhin dieser die Priester, Bischöfe und Ordensleute seines Landes zwang, ihn als Oberhaupt der englischen Kirche anzuerkennen und sich von Rom loszusagen. Dem widerstand Thomas Morus und musste dafür mit seinem Leben bezahlen.
Der Vorgang ist zum einen ein Lehrstück für die enge Verflochtenheit von Religion und Politik im Zeitalter der großen Kirchenspaltung im westlichen Europa, wobei manches Mal die politischen Beweggründe mindestens gleichrangig, wo nicht vorrangig neben den religiösen rangierten. Im konkreten Fall umso mehr, hatte sich doch Heinrich VIII., unterstützt von Morus, einen Namen als defensor fidei (als Verteidiger des Glaubens) mit einer gegen Luther gerichteten Schrift gemacht. Zum anderen ging es hier im engeren Sinne um das Verhältnis von Staat und Kirche, um die jeweiligen Rechte beider Institutionen, vor allem um die Frage, wie weit der Staat die Geschicke der Kirche bestimmen darf.
So wenigstens wurde der Fall vierhundert Jahre nach Morus’ gewaltsamem Tod, 1935, gedeutet. In diesem Jahr wurde Thomas Morus unter Papst Pius XI. von der katholischen Kirche heiliggesprochen. Der Zeitpunkt war mit Bedacht gewählt worden. Denn ähnlich, wie die Kirche Englands unter Heinrich VIII. verfolgt und brutal den Interessen des Königs dienstbar gemacht wurde, wurden damals weltweit Christen verfolgt.
In Mexiko, wo seit 1910 eine Aufstandswelle gegen das Übergewicht der Großgrundbesitzer das Land in Atem hielt, verübten die Sozialrevolutionäre schwere Massaker insbesondere in katholischen Klöstern und Ordensgemeinschaften. Auch in Spanien kam es im Vorfeld des Bürgerkrieges zu ähnlich dramatischen Übergriffen. In besonderer Weise waren vor allem die orthodoxen Christen in der Sowjetunion Verfolgung und Gewalt ausgeliefert. Und in Deutschland zeichnete sich immer deutlicher ab, dass die Nationalsozialisten eine antichristliche und antikirchliche Politik betrieben, die nicht ohne Folgen für die Gläubigen bleiben würde. Dagegen half auch das Konkordat zwischen dem Vatikan und der NS-Regierung nicht, das, kaum abgeschlossen …