Über die Beziehung der Kirche zur Staatsmacht
Vom heiligen Justin (Popović)
CRISIS︱Ausgabe 2︱Herbst 2022︱Christ – Kirche – Staat

Man muss Gott mehr gehorchen als dem Menschen
(Apg 5,29)
Mit diesen Worten haben wir die Seele, das eigentliche Herz der Orthodoxen Kirche: das ist es, ihr Evangelium, ihr universales Evangelium. Das ist es, wovon sie lebt, und wofür sie lebt. Das ist es, worin ihre Unsterblichkeit und Ewigkeit liegt; eben darin besteht ihre unübertreffliche Allkostbarkeit. Gott mehr gehorchen als den Menschen – das ist das Prinzip aller Prinzipien, das Heiligtum aller Heiligtümer, der Maßstab aller Maßstäbe.
Das ist das universale Evangelium – die Essenz aller heiligen Dogmen und aller heiligen Kanones der Orthodoxen Kirche. Hier dürfen nicht, weil es um den Preis aller Preise geht, seitens der Kirche irgendwelchen politischen Regimes irgendwelche Konzessionen gemacht werden, es dürfen keine Kompromisse geschlossen werden, weder mit Menschen noch mit Dämonen. Und am allerwenigsten mit den offenen Kirchengegnern, ihren Verfolgern und Vernichtern.
„Gott mehr gehorchen als den Menschen” – das ist die Satzung der Orthodoxen Kirche, ihre ewige und unveränderliche Satzung – ihr universaler Grundsatz, ihre ewige und unveränderliche Position, ihr universaler Standpunkt. Da haben wir sie, die erste Antwort an die ersten Verfolger der Kirche: Apg 5,29; und das ist ihre Antwort an alle Verfolger durch die Jahrhunderte hindurch bis zum Jüngsten Gericht. Für die Kirche steht Gott immer an erster Stelle, und der Mensch, die Menschen, immer an zweiter Stelle. Den Menschen muss man sich fügen in dem Maße, in dem sie nicht gegen Gott und gegen die Göttlichen Gesetze sind. Aber wenn sie gegen Gott und gegen Seine Gebote auftreten, dann muss die Kirche sich ihnen entgegenstellen und Widerstand leisten. Wenn sie nicht so handelt, ist sie dann etwa Kirche? Und wenn die Vertreter der Kirche sich nicht so verhalten, sind sie dann etwa ihre apostolischen Vertreter? Sich gegebenenfalls etwa durch die sogenannte kirchliche Ökonomie (Nachsicht) rechtfertigen zu wollen, bedeutet nichts anderes, als offen Gott und die Kirche zu verraten. Solch eine Ökonomie ist ganz einfach ein Verrat an der Kirche Christi.
Kirche – das ist die Ewigkeit in der Zeit, in der zeitbedingten Welt. Die Welt ändert sich, aber die Kirche ändert sich nicht; nicht wandeln sich ihre ewige Göttliche Wahrheit, ihre Göttliche Gerechtigkeit, ihr ewiges Göttliches Evangelium, ihre ewigen Göttlichen Träger. Sie wandelt sich nicht, weil sich der Herr Christus nicht wandelt, welcher derselbe ist und in derselben Weise wirkt. Die Evangelische Wahrheit und Wirklichkeit lautet: „Jesus Christus ist gestern und heute derselbe und in Ewigkeit” (Hebr 13,8). Durch die Kirche wird die Ewigkeit in der Zeit gegenwärtig, damit die Zeitlichkeit durch sie geheiligt, erneuert, transzendiert und ihr angeglichen werde. Nicht die Kirche darf sich nach der Zeit ausrichten oder nach dem Geist der Zeiten, sondern die Zeit muss sich nach ihr ausrichten als der Ewigen, und der Geist der Zeiten an ihr als der Trägerin des Geistes der Ewigkeit, des Geistes des Gottmenschentums. Denn sie ist immer heilig, immer apostolisch. Sie ist immer konziliar, immer göttlich, weshalb sie auch niemals wagen kann, das Ewige dem Zeitlichen zu opfern, das Göttliche dem Menschlichen, das Himmlische dem Irdischen. Sie passt sich nicht dem Geist der Zeiten an. Im Gegenteil, ihr gebührt es, die Zeit der Ewigkeit anzupassen, das Zeitliche dem Ewigen, das Menschliche dem Gottmenschlichen …